In diesem Blog-Beitrag knüpfe ich an meinen Newsletter vom Juli 2023 an:
Ungefähr acht Wochen nach dem überwältigenden Ausblick hatte Larelind Bée (gemeinsam mit ihrer Freundin) die Entscheidung getroffen, wieder aufzubrechen: Ein fast vierjähriger Arbeitsaufenthalt im „Dolder Grand“, nach den Worten von Frau Bée dem besten Hotel nicht nur in Zürich, sondern der gesamten Schweiz, sollte folgen … Vorher aber stand ein Besuch der Familienangehörigen in Berlin an, und um den hart verdienten Arbeitslohn nicht gleich mit Bahn- und Bustickets für den Heimaturlaub wieder auszugeben, wollten die beiden jungen Frauen es ‚per Anhalter‘ versuchen.
Ihre Koffer hatten sie im Vorfeld in Locarno aufgegeben; hatten sich und all ihr Gepäck mit einem Taxi vom Hotel dorthin transportieren lassen. Diese Einzelheit klingt nach einer relativ unwichtigen oder gar redundanten Information, aber nach dem Lesen des Reisetagberichtes wird deutlich werden, dass sie Bedeutung hat: „Ich war ja dann erfahren …“ (Zitat) – Frau Bée wusste nach der Hinfahrt, dass eine Kofferaufgabe grundsätzlich möglich war!
So standen die beiden abwartend da, bis plötzlich ein größerer Pkw anhielt. Dessen Fahrer signalisierte Bereitschaft, Mitfahrgelegenheit nach München anzubieten, und sie stiegen ein. Auf der Fahrt entwickelte sich ein Gespräch, und Frau Bée sagte mir, dass sie der freundliche Herr regelrecht ausgefragt, geradezu „ausgehorcht“ hatte. In St. Moritz wurde Station gemacht und es gab eine Einladung zum Essen. Da die Ankunft in München erst spätabends erfolgte, wurde den jungen Autostopp-Mitreisenden vom Fahrer noch eine Hotelübernachtung gesponsert, bevor er sich verabschiedete. Er: der Drehbuchautor Hans Jacoby! Er habe zugehört, immer wieder nachgehakt und spürbar Freude an dieser zufälligen mehrstündigen Begegnung gehabt.
Da ich von „Hans Jacoby“ vorher noch nichts wusste, nehme ich den entsprechenden Wikipedia-Artikel zu Hilfe1: Geburtstag 23.10.1904; folglich war er damals (am 31. Mai oder Anfang Juni 1958) 53 Jahre alt. „Seine erfolgreichste Zeit erlebte Hans Jacoby nach seiner Rückkehr nach Deutschland, angefangen mit dem Verfassen der Drehbücher für einige Filme mit Heinz Rühmann zwischen 1957 und 1961.“ Genau das hatte mir Frau Bée gesagt! Sie erwähnte insbesondere den Rühmann-Film „Ein Mann geht durch die Wand“ (1959)2.
Beim Zuhören hatte ich den Gedanken, dass diesem Drehbuchautor sehr wahrscheinlich die Idee der Verfilmung des auf der Autofahrt Geschilderten kam, und ich fragte Frau Bée, ob sie denn später einmal etwas von ihm oder von einem Film, in dem sie ‚vorkam‘, gehört hätte? Dass sie Herrn Jacoby ihre Adresse beziehungsweise die Anschrift ihrer Mutter gegeben haben muss, fiel ihr durch das folgende erinnerte Detail wieder ein: Er habe tatsächlich einmal geschrieben, mit der Bitte um Rückruf. Die im genannten Film für eine Rolle vorgesehene Schauspielerin Elke Aberle war wohl erkrankt, und Herr Jacoby hatte im Zusammenhang mit der Neubesetzung an sie gedacht … Natürlich wollte ich wissen, was daraus geworden war, und Frau Bée deutete an, dass sie früher im Kontakt mit Erwachsenen gestottert hätte. Deshalb ihr Traumberuf „Bauzeichnerin“: Dann stünde sie vor ihrer Tafel und müsse mit niemandem reden … Das sei aber nie zur Verwirklichung gekommen. Letztendlich hatte sie (weil sie nicht in Berlin war, als der Brief ankam und auch aus mangelndem Selbstvertrauen) zu spät reagiert, und dann war die Rolle schon anderweitig besetzt, wenn ich Frau Bée richtig verstanden habe.
Nochmals zitiere ich aus dem obigen Wikipedia-Artikel unter der Überschrift „Filmografie“: „Auswahl von Filmen, zu denen Hans Jacoby das Drehbuch verfasst hat. Nicht erwähnt sind Filme, bei denen Hans Jacoby Ideen- oder Story-Lieferant, jedoch nicht Drehbuchautor war …“.
Biografien, jene ‚Geschichten, die das Leben schreibt‘: Sie haben mich seit jeher viel tiefer berührt als ‚Fiktion‘.
Vor kurzem hatte ich einen E-Mail-Austausch. Jemand schrieb mir (sinngemäß), dass er von jung auf keinerlei Interesse hatte, Bücher zu lesen. Worte, die die Sichtweisen, Werte und Erfahrungen anderer Menschen ausdrücken, die er nicht kenne; Konzepte und Glaubenssätze, die diesen („anderen“) zu eigen sind: Was hätten sie mit ihm selber zu tun?
Einerseits verstehe ich diese Fragestellung und finde andererseits (oder dennoch) in persönlichen Lebensläufen, egal, ob mündlich oder schriftlich tradiert, immer auch das Universelle.
Vielleicht wird das veröffentlichte Transkript mitsamt Einführung, ergänzt durch meinen Newsletter vom Juli 2023, hier und da Menschen motivieren, beispielsweise Mütter oder Großväter oder Nachbarn zum Erzählen zu ermutigen, ihnen mit offenem Herzen zuzuhören und einige Lebensepisoden niederzuschreiben? Das würde mich sehr freuen.
Mitte Juli, also vor ca. 14 Tagen habe ich die Bitte einer guten Bekannten beantwortet, indem ich ihr Ereignisse des Jahres 1986 aus meinem Gedächtnis heraus niederschrieb. Sie war dankbar dafür. Ohne diesen äußeren Anstoß, etwas aus einer mehrere Jahrzehnte zurückliegenden Zeit für sie zu Papier zu bringen, wäre ungewiss geblieben, ob ich jemals den inneren Impuls dazu gehabt hätte.
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Jacoby_(Drehbuchautor); letzter Zugriff: 24.07.2023
2 https://archive.org/details/HeinzRhmannEinMannGehtDurchDieWand; letzter Zugriff: 24.07.2023