Eine kurze Websuche ergab unter anderem, dass 2016 in einem Fachjournal eine Rezension der Publikationen von Oliver Sacks zu Merkmalen der Migräne erschienen ist: https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/0333102416663460 . Das ist bei entsprechender Interessenlage (auch) ein lesenswerter Text, aber die Einfügung des Links hier an dieser Stelle ist eigentlich weniger eine Leseempfehlung, sondern dient eher als Vorschlag, selber zu überprüfen, ob man der Verknüpfung tatsächlich folgen / sie anklicken will. Noch deutlicher ausgedrückt: Das kurze Innehalten mit der möglichen Entscheidung ‚Nein, nicht jetzt!‘ führt unter Umständen näher an das Thema dieses Newsletters heran, als die verlinkte Rezension, beziehungsweise sogar das Buch selbst. Es geht nicht in jedem Fall um die Vermehrung von Wissen. Der Gedanke, noch nicht genug verstanden zu haben, stellt vielleicht das eigentliche Hindernis dar...
Zuerst aber, wenn du möchtest, schaue trotzdem einmal ins Buch hinein: https://www.book2look.com/book/9783644000933
Ganz vorne, in der Anmerkung „Zu diesem Buch“, findest du die folgenden Sätze: „Jede Migräne hat im Leben des Betroffenen einen Sinn, eine ganz individuelle Bedeutung. Und ist diese erst erkannt, kann der Schmerz besiegt werden.“
Es gibt ein intuitives Wissen: Nichts passiert ohne Grund. Menschen sagen aus Erfahrung, dass manchmal im Rückblick die Sinnhaftigkeit von Umständen oder Ereignissen für sie erkennbar wurde, oder zumindest eine Bedeutung sich erahnen ließ. (Auf die Frage: „Warum passiert mir das?“ ist eine der vorstellbaren Antworten auch ganz einfach: „Es ist, wie es ist.“ Akzeptanz als Abkürzung.)
Besagt nun die zitierte Formulierung („Und ist diese [Bedeutung] erst erkannt…“), dass das Erkennen der auf mich persönlich zutreffenden ‚Botschaft‘ eine Voraussetzung / Vorab-Bedingung für die Überwindung meines (Schmerz-)Problems sei? Sollte die eigene Bemühung deshalb tatsächlich vor allem in die Richtung gehen, den spezifischen Sinn eines von mir an mir selbst beobachteten Symptomkomplexes, einer sich wiederholenden Konstellation, analytisch zu ergründen? Als Betroffener bestenfalls mit kompetenter Hilfe, um Wiederkehrendes (und gegebenenfalls Gewohnheiten) zu identifizieren, und dann verstandesmäßig den Durchbruch zu schaffen? Ist Mustererkennung die Erfolgsstrategie, die ‚Sieg‘ verheißende Handlungsanleitung, die ich umsetzen sollte, weil Entwicklung und Wandlung erst dann möglich werden, sobald meine persönliche Lektion gelernt ist?
Es kann ein Weg sein: Je nach Disposition vorwiegend introspektiv gegangen, oder unter bewusstem Einbeziehen der Erfahrungen und Erkenntnisse anderer. Wenn ich etwas lese, kommt es mir manchmal so vor, als ob ich in einen Spiegel schaue. Der Glaubenssatz, dass niemand anders für mich / anstatt meiner den Sinn erkennen kann, wird dadurch relativiert, dass in Erfahrungsberichten anderer Menschen erfahrungsgemäß auch etwas Universelles steckt. Wenn jemandem etwas bewusst geworden ist, und er mir seine Einsicht mitteilt, so erhellt oder löst das gegebenenfalls auch mein eigenes Problem.
Gestern habe ich ein Experiment gemacht, und in eine Internet-Suchmaschine die (allgemeine) Frage eingegeben: „Welchen Sinn hat meine Krankheit?“
Ungefähr zehn der Suchergebnisse wollte ich näher betrachten; ich habe gelesen, geschaut und zugehört, da auch YouTube-Videos angezeigt wurden. Ja, es gibt sehr interessante und auch emotional berührende Ergebnisse, und jede Webseite / jeder Kanal birgt wiederum eine Vielzahl an weiterführenden Informationen, denen nachzugehen jeweils eine Option darstellt. Eine Reise mit dem Browser, für eine Zeitspanne, die ich wähle, mit interaktiven Möglichkeiten in der digitalen Welt, oder mit einem Buch in der Hand, und anschließendem analogen Austausch mit Menschen meines Umfelds: Es sind relativ niederschwellige Angebote, die ich mit überschaubarem Aufwand in Anspruch nehmen kann.
Wenn ich mich dazu entschließe, kann ich gleichzeitig mit etwas Auto-Distanz mein Denken wachsam beobachten: Bleibe ich unablässig auf der Suche nach einer von außen kommenden Information, die den intellektuellen Paradigmenwechsel bewirken soll, der mir anschließend eine erhoffte Zustandsänderung bringt? Warte ich also ständig darauf, jenen ultimativen Denkanstoß zu bekommen, der mich auf die richtige Fährte führt, sodass sich endlich etwas ‚bessert‘? Oder: Hoffe ich immer weiter auf DAS (irgendwann hoffentlich) aufsteigende Einsichts-Ereignis als Antwort von innen, weil ich im Dialog mit meinem Körper stehe, und – bisher anscheinend vergeblich – zu vernehmen versuche, was er mir sagen will? Mache ich mir Gedanken über körperliche Phänomene, oder beobachte ich sie neutral, mit einem gewissen Abstand?
Für einen Augenblick schaue ich meine Gedanken und Gefühle an: Spüre ich Frustration, weil ich von Enttäuschung zu Enttäuschung zu eilen scheine? Eventuell auftretende Selbstzweifel kann ich wahrnehmen, und vielleicht auch verbalisieren.
Eine Kolumnistin spricht darüber sehr offen; ihrem Artikel hat sie die Überschrift gegeben: „Krankheit, was willst du mir sagen?“ Hier der Link dazu:
https://sz-magazin.sueddeutsche.de/schmerz-lass-nach/krankheit-was-willst-du-mir-sagen-87679
Ein Zitat daraus: „Ich glaube nicht, dass ich mich erst in eine Art höhere spirituelle Wesenheit entwickeln muss, bis ich diese irdischen Banalitäten wie Schmerz ablegen kann und frei von allen Erkrankungen bin.“
Wenn ich den Beitrag lese, sehe ich aus meiner Perspektive, dass darin im Grunde eine un-glaubliche Entdeckung steckt:
Es gibt keine Vorbedingungen!
Vielleicht warten wir zu sehr darauf, dass der erlösende Moment in der Zukunft kommen wird, anstatt uns in dem zu verankern, was sich bereits andeutungsweise gezeigt hat: Konsequent bei etwas bleiben, das sich im Herzen ‚echt‘ anfühlt, und (auch wenn wir es tausendmal vergessen) uns immer wieder daran er-innern lassen. Wenn uns diese Erkenntnis der Bedingungslosigkeit total und ‚seinsmäßig‘ erfasst, dann wissen wir, dass wir uns darauf ohne Ausnahme verlassen können. Im Jetzt-Da-Sein ist sie immer zugänglich. Frei von Erkrankungen werden wir möglicherweise nicht sein, werden Schmerzen vielleicht weiterhin spüren – aber wir sind befreit vom Leiden unter dem Schmerz.
Ist das nicht der wahre ‚Game Changer‘, der alles verwandelt? In dieser perspektivischen Umkehr löst sich bereits das Denkmuster, den persönlichen Sinn suchen zu müssen, damit ich (als Ego-Verstand) den Schmerz besiegen könne, auf. Und trotzdem stimmt das Türöffner-Zitat aus dem Taschenbuch, das mich angesprochen hat. Die „individuelle Bedeutung“: Darunter verstehe ich das jeweils einzigartige Geschehen der ‚Umwendung‘ im Leben eines Menschen, mit seinen spezifischen Verhältnissen und Umständen. Wie wunderbar ist die Erkenntnis, dass alles, was geschieht, und genau so, wie es geschieht, die größtmögliche Hilfe ist!
Die Wende ist die Entscheidung, worauf ich meine Aufmerksamkeit richte:
Hefte ich meine Wahrnehmung an das, was auf der Leinwand des Bewusstseins erscheint: An die wechselnden Körperempfindungen mitsamt den Gedanken und Gefühlen, die den wahrgenommenen Schmerz begleiten? Oder ruht meine Aufmerksamkeit ganz ‚dort, von wo ich schaue‘?
GEWAHR-SEIN.
“Concentrate on the Seer, not on the seen.“ – Worte von Sri Ramana Maharshi. Jesus Christus hat das Weinstock-Gleichnis gegeben, und auch das Gleichnis vom Haus auf dem Felsen: „ICH BIN“ ist verlässlicher Halt, der Fels in der Brandung.